Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.01.2009
Aktenzeichen: 13a F 31/07
Rechtsgebiete: VwGO, UIG, GenTG
Vorschriften:
VwGO § 99 Abs. 1 Satz 2 | |
VwGO § 99 Abs. 2 Satz 1 | |
VwGO § 99 Abs. 2 Satz 6 | |
UIG § 3 Abs. 1 Satz 1 | |
UIG § 9 Abs. 1 Satz 1 | |
UIG § 9 Abs. 1 Satz 4 | |
GenTG § 16 Abs. 1 Nr. 3 | |
GenTG § 16 Abs. 2 | |
GenTG § 17 a Abs. 2 |
2. Zum Ausschlusstatbestand der Risikobewertung iSd § 17 a Abs. 2 Nr. 6 GenTG für die Annahme eines Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses.
3. Zu den Ermessenserwägungen gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO unter Berücksichtigung der fachgesetzlichen Vorgaben.
Tatbestand:
Auf Antrag wurde der Beigeladenen Genehmigungen für die Freisetzung von gentechnisch verändertem Weizen erteilt. Im Februar 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Information, welches Gen verwendet worden sei, um die erwünschte höhere Toleranz von Weizen gegenüber Fusariumarten zu erlangen. Nach Ablehnung dieses Antrages hat die Klägerin Klage erhoben, mit dem sie ihr Auskunftsbegehren weiter verfolgt. Im Klageverfahren legte die Beklagte die im Genehmigungsverfahren entstandenen Verwaltungsvorgänge mit Ausnahme von als vertraulich eingestuften Passagen vor. Unter dem 2.3.2007 wurde die Vorlage der vollständigen Verwaltungsvorgänge verweigert. Der Antrag der Klägerin nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Vorlage hatte keinen Erfolg.
Gründe:
Der Senat entscheidet über den Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO ohne die in § 99 Abs. 2 Satz 6 vorgesehene Beiladung der obersten Aufsichtsbehörde, weil diese bereits als Vertreterin der Beklagten beteiligt ist.
Der Antrag des Antragstellers nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat keinen Erfolg. Die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO liegen vor; Ermessensfehler bestehen hinsichtlich der abgelehnten Vorlage nicht.
Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten auch verweigern, wenn das Bekanntwerden dieser Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheimgehalten werden müssen. So liegt es hier.
Die erforderlichen Erwägungen und Kriterien für eine Ermessensentscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat das BVerwG, Beschluss vom 13.6.2006 - 20 F 5.05 -, DVBl. 2006, 1245, benannt, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen wird.
Das nach dem Umweltinformationsgesetz vom 22.12.2004 (BGBl. I S. 3704) - UIG - bestehende Informationsrecht ist im vorliegenden Verfahren für den Kläger beschränkt.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 UIG hat jede Person nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 verfügt, hier also gegenüber der Beklagten.
Vorliegend ist jedoch das Interesse an der Geheimhaltung der angeforderten Aktenauszüge gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG sowie § 17 a Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik - GenTG -, der die Regelungen des UIG konkretisiert, OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2005 - 8 B 940/05 -, NVwZ-RR 2006, 248, dem Informationsinteresse vorzuziehen.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG ist grundsätzlich ein Antrag auf Preisgabe von Informationen abzulehnen, wenn u. a. durch das Bekanntgeben Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zugänglich gemacht würden. Bei derartigen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen hat gemäß § 9 Abs. 1 Satz 4 UIG die informationspflichtige Stelle in der Regel von einer Betroffenheit im Sinne des Satzes 1 Nr. 3 auszugehen. Die hier in Rede stehenden Teile der Akten beinhalten als vertraulich gekennzeichnete Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen im Sinne des UIG. Hierunter werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen.
OVG NRW, Beschluss vom 23.10.2008 - 13a F 12/08 -, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 14.3.2006 - 1 BvR 2087/03 -, BVerfGE 115, 205 = NVwZ 2006, 1041, m. w. N.
Der Senat hat die Akten eingesehen. Sie enthalten Angaben über die gentechnischen Veränderungen, insbesondere über die Herkunft jedes Fragments der für die Insertion vorgesehenen Regionen.
Nichts anderes ergibt sich im Ergebnis daraus, dass die hier ebenso zu beachtenden Regelungen des § 17 a Abs. 2 GenTG erhöhte Anforderungen an die Annahme eines Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses stellen. Zu den vertraulich zu behandelnden Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zählt im Gentechnikrecht nicht die "Risikobewertung" im Sinne des § 17 a Abs. 2 Nr. 6 GenTG. Dieser Ausschlusstatbestand erfasst nicht nur eine ergebnishafte, wesentliche Zusammenfassung der zum Nachweis der Umweltverträglichkeit (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 GenTG) vorgelegten Unterlagen, sondern darüber hinaus das dem Prüfungsergebnis zugrundegelegte Tatsachenmaterial. Dieses Verständnis des Begriffs der "Beurteilung" ist deshalb geboten, weil § 17 a Abs. 2 Nr. 6 GenTG nur bei dieser weiten Auslegung mit den Vorgaben der insoweit maßgeblichen Freisetzungsrichtlinie vom 12.3.2001, 2001/18/EG (Amtsblatt Nr. L 106, S. 1 ff.) in Einklang steht. Eine solche europarechtskonforme Auslegung überschreitet auch nicht die Grenzen der unter Berücksichtigung von Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik möglichen Auslegung des § 17 a Abs. 2 Nr. 6 GenTG.
OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2005 - 8 B 940/05 -, a. a. O., zur voherigen Regelung: "Beurteilung der vorhersehbaren Wirkungen, insbesondere schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt".
Dennoch fällt vorliegend die in § 17 a GenTG angelegte Abwägung zwischen den gegenläufigen Geheimhaltungsinteressen und Informationsinteressen sowie unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu Lasten des Klägers aus. Denn die Beklagte hat bereits im Genehmigungsbescheid vom 1.4.2004 hinreichende Ausführungen zu den äußeren Umständen des hier in Rede stehenden Freilandversuchs gemacht, die die vom Kläger geforderte Offenlegung sämtlicher Informationen nicht erforderlich erscheinen lassen. Unter III.1.2.2. (Bewertung der Fähigkeit der gentechnisch veränderten Pflanzen, im Freiland zu überdauern oder sich zu etablieren) ist der Beklagte zu dem Ergebnis gelangt, die Möglichkeit, dass der gentechnisch veränderte Weizen im Freiland überdauern oder dass sich auf diesem Wege Pflanzen etablieren würden, sei äußerst gering. Unter III.1.2.3. (Bewertung der Möglichkeit einer Übertragung der eingeführten Gene von den gentechnisch veränderten Pflanzen durch Pollen auf andere Pflanzen) hat der Beklagte sodann substantiiert ausgeführt, die mit der Freisetzung verbundenen Maßnahmen seien ausreichend, um die Möglichkeit von Auskreuzungen in benachbarte Kulturpflanzen-Betriebe zu reduzieren. Es sei auch nicht zu erwarten, dass es zu einer Ausbreitung der gentechnischen Veränderung auf andere Pflanzen außerhalb der Freisetzungsfläche komme.
Damit sind mit dem Freilandversuch verbundenen Risiken so weit eingeschränkt, dass es für eine hinreichende Risikobewertung der Kenntnis über die eingesetzten Gene nicht bedarf. Diesen für den Senat anhand des Genehmigungsbescheides nachvollziehbaren Ausführungen ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Dass die hier im Genehmigungsbescheid vorgenommene Risikobewertung in Frage gestellt werden könnte, so dass es gegebenenfalls einer Offenlegung des eingebrachten Gens für eine ordnungsgemäße Risikobewertung bedarf, ist nicht dargelegt.
Ein Geheimhaltungsinteresse der Beigeladenen scheidet entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht deshalb aus, weil das hier in Rede stehende Gen und die Gensequenz bereits in öffentlich zugänglichen Datenbanken und Fachzeitschriften publiziert worden sind. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob bei öffentlich zugänglichen Daten überhaupt ein Informationsanspruch nach dem Umweltinformationsgesetz bestehen kann. Insoweit hat der Beklagte nachvollziehbar dargelegt, die Information, welches Gen in dem fraglichen Weizenkonstrukt verwendet wurde und aus welchen Organismen (gerade) dieses Gen entnommen sei, sei nicht öffentlich zugänglich. Aus den öffentlichen Datenbanken lassen sich allenfalls eine Auswahl der in Frage kommenden Gene bestimmen, nicht jedoch das konkret verwendete Gen. Dem entsprechen auch die Ausführungen der Beigeladenen, wonach sowohl die Fusarienart, das Gen und das Enzym vor als auch nach der Einreichung der streitgegenständlichen Freisetzungsanträge in verschiedenen Studien beschrieben worden sei, nicht jedoch die Anwendung des aus der spezifischen Pilzart isolierten Gens im Weizen und die spezifische Enzymaktivität des mit diesem Gen codierenden Enzyms.
Ein öffentlicher Zugang zu den hier in Rede stehenden Informationen über eine Patentanmeldung besteht ebenfalls nicht. Eine Anmeldung zum Patent ist nach den Angaben der Beklagten nicht erfolgt. Dies hat auch die Beigeladene bestätigt.
Der Annahme eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses steht auch nicht entgegen, dass, wie der Kläger behauptet, es derzeit kein gezieltes Verfahren zu einer Übertragung von Gensequenzen in Pflanzen gebe, so dass die Angabe der jeweiligen Insertionsstelle nicht schützenswert sei. Lediglich die Angabe der Insertionsstelle würde das Klagebegehren, gerichtet auf die Angabe des verwendeten Gens, nicht umfassen. Zudem könnten sich Nachahmer, die gezielt auf die gleiche Insertionsstelle hinarbeiten und dabei - nach dem Klägervorbringen zufällig - die gleiche Insertionsstelle treffen, die sich daraus ergebenden Erkenntnisse der Beigeladenen zunutze machen.
Zutreffend hat sich die Beklagte in der Entscheidung vom 2.3.2007 auch auf den Standpunkt gestellt, ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Bekanntgabe im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 UIG bestehe nicht. Sie hat auf den wirtschaftlichen Wert der in einem Unternehmen vorhandenen Kenntnisse und das Wissen über das Herstellungsverfahren hingewiesen. Ferner hat sie die möglichen wirtschaftlichen Folgen für die Existenz eines Unternehmens bei Preisgabe dieser Informationen angeführt. Demgegenüber hat sie das öffentliche Interesse in Rechnung gestellt. Hierbei hat sie darauf verwiesen, dass die Angaben im Auslegungsexemplar Dritten die Beurteilung ermöglichten, inwieweit sie durch die Maßnahmen betroffen würden. Eine konkrete gesundheitliche Bedeutung der Versuchsdurchführung hat die Beklagte im Hinblick auf die Risikobeantwortung im Genehmigungsverfahren jedoch in Abrede gestellt. Diese Ausführungen sind auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens nachvollziehbar und nicht zu beanstanden.
Schließlich ist die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO in der Sperrerklärung vom 2.3.2007 getroffenen Entscheidung der Beklagten ermessensgerecht erfolgt.
Die bundesrechtliche Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zwar im Verhältnis zu den allgemeinen Geheimhaltungsvorschriften einschließlich der Ausnahmeregelungen eine prozessrechtliche Spezialnorm, OVG NRW, Beschluss vom 21.8.2008 - 13a F 11/08 -, unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 13.6.2006 - 20 F 5.05 -, a. a. O.
Das Ergebnis der nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderten Abwägung ist allerdings im vorliegenden Verfahren rechtlich vorgezeichnet. Kern des Verfahrens ist ein Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen nach dem Umweltinformationsgesetz und dem Gentechnikgesetz, was dazu führt, dass sich das Prüfungsprogramm auch für die prozessuale Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO faktisch - nicht jedoch rechtlich - weitgehend an der fachgesetzlichen Vorgabe orientiert.
Vgl. zum Informationsfreiheitsgesetz NRW: OVG NRW, Beschluss vom 21.8.2008 - 13a F 11/08 -, unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 21.2.2008 - 20 F 2.07 -, NVwZ 2008, 554.
Infolgedessen ist die Antwort auf die Frage der Aktenvorlage durch den vorliegenden und oben behandelten Versagungsgrund nach den Regelungen des Umweltinformationsgesetzes und des Gentechnikgesetzes bereits determiniert. Dementsprechend hat die Beklagte in der Sperrerklärung vom 2.3.2007 zutreffend ausgeführt, bei der Ermessensausübung sei das Interesse an der Geheimhaltung des Akteninhalts mit dem Interesse an einem effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG abzuwägen. Hinsichtlich des Interesses der Geheimhaltung seien die oben angestellten Erwägungen (Anmerkung: zu § 9 Abs. 1 UIG) maßgeblich.
Auch die zusätzlichen Erwägungen zu den Interessen des Klägers und der Beigeladenen sind nicht zu beanstanden. Insoweit hat sich die Beklagte auf den Standpunkt gestellt, hinsichtlich des Interesses des Klägers an einem effektiven Rechtsschutz sei die Kenntnis detaillierter Angaben über die gentechnischen Veränderungen nicht erforderlich. Auch ohne sie seien Darlegungen für die Bewertung der vorhersehbaren Auswirkungen eines Freisetzungsversuches möglich. Überdies sei auch das Interesse der Beigeladenen an einem effektiven Rechtsschutz im Hinblick auf ihre Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu berücksichtigen.
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.